Bedeutung und Auswirkung der Schimpfwörter in Mund-zu-Mund Kommunikation
Forschungsfeld
Die Forscher befassen sich mit der Bedeutung und Wirkung der Schimpfwörter in der Mund-zu-Mund (World of Mouth) Kommunikation und versuchen einen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein der Schimpfwörter in einer Produktrezension und Ihrem Mehrwert herzustellen. Dieser Artikel stammt aus “Journal of Marketing Research” und bezieht sich auf die US-Amerikanische Bevölkerung. Vermutlich lässt sich die Entwicklung auch auf andere Weltregionen, zum Beispiel Deutschland, ableiten.
Die Häufigkeit der Benutzung der Schimpfwörter ist höher als je zuvor. Die Entwicklung nimmt im Internet zu, denn 7.7% aller Twitter Beiträge enthalten mindestens Eins. Die fehlende Forschung dazu ist auf das allgemeine Tabu und die beleidigende Wirkung zurückzuführen. Es heißt, dass die Benutzung der Schimpfwörter gegen die Normen verstößt. Dieser Verstoß kann verschiedene Auswirkungen haben: zu Einem kann die Aufmerksamkeit des Betrachters erhört werden, zu Anderem sinkt der Objektivitätsgrad des Textes.
Forschungsfrage und Hypothesen
Mixed-Meaning Schimpfwörter
Philosophen behaupten, dass alle Bestandteile einer Konversation einen Sinn haben. Somit kann vorgeworfen werden, dass die Schimpfwörter ebenfalls einen Sinn haben und mit Bedacht verwendet werden. Die Theorie, dass die Verwendung der Fluchwörter auf den mangelnden Wortschatz zurückzuführen ist, kann gestrichen werden. Denn sowie Schimpfwörter den syntaktischen und semantischen Regeln unterworfen sind, ist dem Individuum auch der angemessene und angebrachte Gebrauch klar.
Um die Bedeutung des Gebrauchs im Satz zu untersuchen, wird auf die semantische Struktur eingegangen und als Hypothese formuliert, dass Schimpfwörter über dem Betrachtungsobjekt und dem Betrachter selbst deuten.
- unmittelbare Wertung des Betrachters und seiner Einstellung durch die Verwendung des verbotenen Wortes;
- kontextuelle Bedeutung über das Betrachtungsobjekt.
Schimpfwörter als Adverb
Dies ist die meistverwendete Gebrauchsform von Schimpfwörtern. Diese Verwendung basiert nicht auf der tatsächlichen Bedeutung des Wortes und kann nicht wortwörtlich interpretiert werden. Viel öfter verstärkt es die Wahrnehmung des Wortes, worauf es sich bezieht: “The dishwasher is fucking quiet.”.
Verglichen mit einem neutralen Adverb “extremely” ist die Wirkung des Schimpfwortes stärker. Es liegt daran, dass das Fluchwort ein negatives Wort ist. Negative Wörter erlangen mehr Aufmerksamkeit als neutrale oder positive Wörter. Zudem ruft es eine stärkere Wahrnehmung hervor, da das Fluchen das Tabu bricht.
Verwendung der Schimpfwörter
Autoren unterscheiden zwei Modifikatoren, die auf die Wirkung des Gebrauchs der vulgären Sprache heraufspielen: Anzahl und Stil. Je nach Ausprägung soll die Wahrnehmung ab- oder zunehmen.
- Anzahl – eine geringe Anzahl soll die Aufmerksamkeit erhöhen. Jedoch zu viele Schimpfwörter sollten eine gegenseitige Wirkung aufweisen, da nicht mehr eindeutig zu identifizieren ist, ob es auf das Betrachtungsobjekt oder den Betrachter selbst zurückzuführen ist.
- Stil – Es wird zwischen 3 Verwendungsstilen unterschieden: unzensiert “fuck”, euphemistisch “frick” und zensiert “f***”. Die Forscher vermuten, dass unzensierte und euphemistische Arten eine ähnliche Wirkung ausüben, wobei die Wirkung bei zensierten Wörtern abnehmen wird.
Methoden und Beweise
Die Hypothesen werden mit zwei Sätzen von Felddaten und mit 4 Experimenten getestet. Die Felddaten von Yelp und Amazon werden analysiert um die Auswirkung von Schimpfwörtern (oder keinen Schimpfwörtern) in Kundenrezensionen zu ermitteln.
Die Auswirkung von unterschiedlicher Anzahl an Schimpfwörtern und unterschiedlichem Stil der Schimpfwörter (unzensiert, euphemistisch, und zensiert) werden mit Bewertungen ohne Schimpfwörter verglichen. Schlussendlich, wird bestätigt, dass der Effekt von Schimpfwörtern bei verschiedenen Bewertungs-Valenzen bestehen bleibt (positive, neutrale, negative Sternbewertungen). Vier Experimente sollen kausale Beweise (durch Mediation, Moderation) der beobachteten Effekte liefern.
Methode
Für Yelp wurden 100,000 Rezensionen aus der 2017er Yelp Dataset Challenger (ca. 4,7 Millionen Rezensionen von 156,000 Unternehmen aus 4 Ländern.) erhoben, dabei waren 76,544 einzigartige Rezensenten/innen für 42,883 Unternehmen. Die Daten für jede Rezension beinhalteten Text, Sterne-Rating, Datum und Anzahl der Leute die die Rezension als “hilfreich” bewertet haben.
Amazon Rezensionen wurden über ein öffentlich zugängliches Repositorium (He and McAuley 2016) erhoben. Der Datensatz beinhaltete 82,8 Millionen Produktrezensionen vom Mai 1996 bis hin zum Juli 2014. 200.000 dieser Rezensionen waren nach dem Zufallsprinzip für die Analyse ausgewählt. Im finalen Datensatz, befanden sich 190.240 einzigartige Rezensenten/innen für 161.092 verschiedene Produkte in 24 verschiedenen Produktkategorien (z.B. Bücher, Elektronik). Die Daten beinhalteten zusätzlich die Anzahl der Leute die die Rezension als “nicht hilfreich” bewertet haben.
Die Linguistic Inquiry and Word Count (LIWC) Software wurde benutzt um Rezensionen rauszufiltern die mindestens ein Schimpfwort enthielten. Diese Software sortiert Wörter in thematische Wortgruppierungen (Dictionaries) und berichtet den Anteil von Wörtern in einem Text die in jede Wortgruppierung fallen (z.B. positive Emotionen).
Ergebnis
Schimpfwortanzahl
Hypothetisiert wurde, dass ein paar Schimpfwörter in Rezensionen mehr “hilfreich”-Bewertungen bekommen als Rezensionen mit vielen.
Die Schimpfwortanzahl wurde als kategorische Variable genutzt um Rezensionen mit einer unterschiedlichen Anzahl an Schimpfwörtern (eins, zwei, etc.) mit Rezensionen ohne.
Für Yelp-Rezensionen, haben die Ergebnisse der negativen binomialen Regression (inkl. Kontrollvariablen) gezeigt, dass Rezensionen mit einem Schimpfwort beachtlich mehr “hilfreich”-Bewertungen bekommen als Rezensionen ohne. Dasselbe war zu sehen bei Rezensionen mit zwei Schimpfwörtern und der höchste positive Effekt auf “hilfreich”-Bewertungen wurde bei Rezensionen mit drei Schimpfwörtern gesehen. Dieser Effekt ist ab vier Schimpfwörtern abgeschwächt zu erkennen und ab 5 Schimpfwörtern nicht mehr signifikant.
Bei den Amazon-Rezensionen hatte ein Schimpfwort den größten Effekt im Vergleich zu keinem. Ab zwei Schimpfwörter war der Effekt nicht mehr signifikant.
Schimpfwortstil
Hypothetisiert wurde, dass unzensierte und euphemistische Wörter einen positiven Effekt auf “hilfreich”-Bewertungen im Vergleich zu keinem und dass zensierte keinen signifikanten Effekt haben werden im Vergleich zu keinem Schimpfwort.
Die negative binomiale Regression (kontrolliert mit Datum gepostet, Bewertungsvalenz und Rezensionslänge) hat für Yelp ergeben, dass Rezensionen mehr “hilfreich”-Bewertungen bekommen haben bei unzensierten, euphemistischen und auch zensierten Schimpfwörtern.
Bei Amazon hatten unzensierte und euphemistische Schimpfwörter einen positiven Effekt. Kein signifikanter Effekt wurde festgestellt für zensierte Schimpfwörter.
Bewertungsvalenz
Hypothetisiert wurde, dass Schimpfwörter sowohl für positive als auch für negative Rezensionen nützlich sein können. Um den Effekt zu testen, wurde der Datensatz in negative (eins und zwei Sterne), neutrale (drei Sterne) und positive (vier und fünf Sterne) aufgeteilt und im Anschluss eine negative binomiale Regression für jede Aufteilung durchgeführt.
Yelp-Rezensionen mit Schimpfwörtern waren am nützlichsten über alle Bewertungsvalenz-Kategorien hinweg und besonders bei positiven Bewertungsvalenzen.
Bei Amazon war der Effekt nur signifikant für positive Bewertungsvalenzen.
Experiment 1a
215 Individuen mit dem Durchschnittsalter = 35,5 und 53% männlich. 29 der Partizipierenden wurden ausgeschlossen, weil sie an einem Aufmerksamkeitstest gescheitert sind. Die finale Teilnehmeranzahl war 186. Die Teilnehmer sollten sich vorstellen eine externe Batterie (Powerbank) kaufen zu wollen. Eine Produktseite mit Produktbild und Beschreibung einer Powerbank zusammen mit zwei Versionen einer positiven 4-Sterne Rezension. Dabei wurden bestimmte Kriterien auf einer 7 Punkte Skala (1 – wenig, 7 – viel) bewertet:
- Einstellung: negativ/positiv; gefällt mir nicht/gefällt mir; unbezahlbar/bezahlbar.
- Attribute des Produkts, zum Beispiel die Ladegeschwindigkeit.
- Manipulation: ob Teilnehmer die Rezensionen beleidigend fanden.
mit Schimpfwort | ohne Schimpfwort | |
Produkteinstellung | 5,84 | 5,54 |
Attributstärke | 5,87 | 5,56 |
Gefühlsstärke | 6,0 | 5,28 |
Eine Analyse der Varianz zeigt wie erwartet einen signifikanten Effekt von Schimpfwörtern auf die Produkteinstellung, so dass die Teilnehmer eine positivere Einstellung zum Produkt und zum Bewerter hatten, wenn ein Schimpfwort vorhanden war. Die Teilnehmer glauben, dass die Batterie schneller auflädt, wenn ein Schimpfwort verwendet wird.
Experiment 1b
317 Teilnehmer wurden rekrutiert (Durchschnittsalter=36.2, 52% männlich). 21 haben den Aufmerksamkeitstest nicht bestanden (Waschzyklus beschreiben), was 296 übriglässt. Die Teilnehmer sollten sich vorstellen, dass sie sich eine neue Spühlmaschine kaufen müssten. Ihnen wurde dann eine Produktseite mit Produktbild und einer positiven Rezension gezeigt. Der Titel der Rezension hatte 3 Varianten (“The dishwasher is [damn/insanely/super] quiet!”) und bezieht sich auf die Aussage der Abbildung 1. Der restliche Text war bei allen Varianten gleich. Es wurden dieselben Kriterien wie bei Experiment 1a bewertet.
Schimpfwort („damn“) | Normales Adverb („super“) | Negativ-Wort („insanely“) | |
Produkteinstellung | 6 | 5,64 | 5,5 |
Attributstärke | 5,49 | 4,99 | 5,23 |
Gefühlsstärke | 5,07 | 4,38 | 4,58 |
Die Ergebnisse zeigen, dass für das Schimpfwort die Gefühle des Rezensenten und die Attributstärke als stärker ausgeprägt wahrgenommen wurden und somit die Produkteinstellung des Lesers auch stärker beeinflusst haben als das normale Adverb und das Negativ-Wort.
Experiment 2
Das Ziel von Experiment 2 ist es, das Gesamtmodell und die Diagnostizität der Attributstärke, wenn man die Anzahl der Schimpfwörter verändert, zu testen. Hypothetisiert wird, dass die Anzahl der Schimpfwörter mit der Bewertung der Rezension positiv korreliert. 361 Teilnehmer haben beim Experiment mitgemacht (Durchschnittsalter=35,6 , 49% männlich). 19 davon haben den Aufmerksamkeitstest nicht bestanden, so dass die finale Anzahl der Teilnehmer bei 342 lag. Den Teilnehmern wurden 3 verschiede Rezensionen wie bei dem Experiment 1a gezeigt.
0 Schimpfwörter | 2 Schimpfwörter | 5 Schimpwörter | |
Produkteinstellung | 5,5 | 5,8 | 5,41 |
Attributstärke | 5,04 | 5,99 | 5,69 |
Gefühlsstärke | 4,16 | 6,18 | 6,25 |
Die Ergebnisse bestätigen die Hypothese und zeigen das bei sich zwei Schimpfwörtern besonders die Attributstärke (Ladegeschwindigkeit) und die Gefühlsstärke als stärker ausgeprägt wahrgenommen werden als bei der Rezension mit keinem Schimpfwort. Zu bemerken ist auch, dass sich die Produkteinstellung und die wahrgenommene Attributstärke verschlechtern bei der Verwendung von 5 Schimpfwörtern (Im Vergleich zu der Verwendung von zwei), sich jedoch die wahrgenommene Gefühlsstärke erhöht.
Experiment 3
Ziel war es hier die Diagnostizität der Attributstärke und Gefühlsstärke zu testen indem man den Schimpfwortstil verändert (unzensiert, zensiert, euphemistisch). Hypothetisiert wird, dass zensierte Schimpfwörter eine schlechtere Diagnostizität liefern als unzensierte, weil eine positive Konnotation besteht und kein Tabu gebrochen wird. Sie sollten deshalb weniger Auswirkung haben auf die Produkteinstellung. Kein Unterschied wird erwartet zwischen dem euphemistischen und unzensierten Schimpfwort. Den Teilnehmern wurden 3 verschiede Rezensionen wie bei dem Experiment 1a gezeigt.
460 Teilnehmer (Durchschnittsalter=41,3, 51% männlich) aus Amazons MTurk. 25 Teilnehmer haben den Aufmerksamkeitstest nicht bestanden (sie sollten angeben wie der Rezensent die Produktgröße beschrieben hat). Übrig geblieben sind 435 Teilnehmer.
Unzensiert („fuck“) | Zensiert („f*ck“) | Euphemistisch („frick“) | |
Produkteinstellung | 5,82 | 5,58 | 5,68 |
Attributstärke | 5,98 | 5,66 | 5,73 |
Gefühlsstärke | 5,15 | 5,1 | 4,91 |
Die Ergebnisse zeigen, dass das unzensierte Schimpfwort die größte positive Auswirkung auf Produkteinstellung und Attributstärke hatte. Der Unterschied zwischen dem zensierten, euphemistischen und unzensierten bei der Gefühlsstärke war nicht signifikant.
Fazit
Für die Datensätze wurden die meisten aufgestellten Hypothesen bestätigt. Eine Übersicht bekommen Sie in der Tabelle 1 hierrüber.
Quellen
- „The Power of Profanity: The Meaning and Impact of Swear Words in Word of Mouth“
Katherine C. Lafreniere , Sarah G. Moore, and Robert J. Fisher
Journal of Marketing Research 2022, Vol. 59(5) 908-925 - Google Translator: https://translate.google.com/
- Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Negative_Binomialverteilung