Die Landschaft des E-Commerce hat sich in den letzten Jahren dramatisch gewandelt,
angetrieben von asiatischen Plattformen wie TEMU und SHEIN. Diese Unternehmen
repräsentieren neue, aggressive Geschäftsmodelle, die weltweit Kunden ansprechen und dabei etablierte Akteure wie Amazon und Zalando herausfordern. Doch ihr Erfolg ist nicht unumstritten. Kritiker werfen ihnen unfaire Wettbewerbsmethoden, mangelnde Nachhaltigkeit und problematische Arbeitsbedingungen vor. In diesem Beitrag werden die Geschäftspraktiken dieser Plattformen sowie die Vorwürfe des nationalen Populismus und der berechtigten Wettbewerbskritik betrachtet.
Die Geschäftsmodelle von TEMU & SHEIN
TEMU wurde 2022 in Boston gegründet und hat sich schnell als Social-Commerce-Plattform
etabliert. Das Geschäftsmodell basiert auf dem Factory-to-Consumer-Ansatz (F2C), bei dem
Produkte direkt von Herstellern über Luftfracht an Kunden geliefert werden. Durch die
Eliminierung von Zwischenhändlern („Cut out the Middleman“) und eine aggressive Preisstrategie bietet TEMU Produkte an, die bis zu 80 % günstiger sind als bei der Konkurrenz. SHEIN, bereits 2008 gegründet, hat sich zu einem der bekanntesten „Ultra-Fast-Fashion“ Unternehmen entwickelt. Täglich werden Tausende neuer Produkte angeboten, die durch ein flexibles Lieferkettenmodell und datengetriebene Prozesse extrem schnell auf den Markt kommen. Die Time-to-Market wurde auf nur zwei Wochen verkürzt. Mit einem Fokus auf junge, modebewusste Zielgruppen nutzt SHEIN Social Media, Influencer-Marketing und Gamification als Einkaufserlebnis und erzeugt daraus eine hohe Kundenbindung.
Beide Plattformen nutzen innovative Ansätze, um ihre Marktpräsenz zu maximieren. TEMU setzt auf Werbekampagnen, darunter eine prominente Werbung beim US-amerikanischen Super Bowl sowie Gamification, um Kunden durch spielerische Elemente zu binden. SHEIN kombiniert Influencer-Marketing mit Social-Media-Kampagnen, was die junge Zielgruppe anspricht. Beide Plattformen verwenden datengetriebene Ansätze, um Kundenverhalten zu analysieren und Trends zu identifizieren. Dabei kommen künstliche Intelligenz und Echtzeitanalysen zum Einsatz.
Kritikpunkte an den chinesischen E-Commerce Plattformen
Die beeindruckenden Wachstumsraten von TEMU und SHEIN gehen mit erheblichen negativen Auswirkungen einher. TEMU setzt beim Versand hauptsächlich auf Luftfracht, was zu hohen CO₂ Emissionen führt, während SHEIN für „Greenwashing“ kritisiert wird. Beide Unternehmen stehen zudem unter Verdacht, von Zwangsarbeit der ethnischen Minderheit der Uiguren in der chinesischen Region Xinjiang zu profitieren. Beide Unternehmen haben keine ausreichenden Maßnahmen implementiert, um sicherzustellen, dass ihre Lieferketten frei von Zwangsarbeit sind. Solche Praktiken stehen in direktem Widerspruch zu internationalen Arbeitsstandards und werfen erhebliche ethische Fragen auf.
Ein bemerkenswerter Kritikpunkt, der eng mit den Geschäftsmodellen von TEMU und SHEIN
verknüpft ist, betrifft die sogenannten „Dark Patterns“. Diese manipulativen Designpraktiken
nutzen psychologische Tricks, um Nutzer zu bestimmten Aktionen zu verleiten. Darunter fällt
unteranderem der Aspekt der Gamification. TEMU verwendet beispielsweise gezielten Zeitdruck, indem Angebote als nur „kurz verfügbar“ dargestellt werden, um eine Dringlichkeit zu erzeugen. SHEIN setzt ähnlich auf Countdowns und limitierte Verfügbarkeiten, die Kunden dazu drängen, schnell Kaufentscheidungen zu treffen. Dies geht oft mit Belohnungssystemen einher, bei denen Kunden Punkte oder Rabatte sammeln können oder Produkte an Freunde weiterempfehlen. Diese Dark Patterns führen dazu, dass Nutzer mehr Zeit auf den Plattformen verbringen und häufig impulsive Käufe tätigen.
TEMU und SHEIN nutzen regulatorische Schlupflöcher, um Zollkosten zu umgehen, indem sie
Sendungen in kleine Pakete aufteilen oder Warenwerte niedriger deklarieren als deren
tatsächlicher Wert. Besonders kleine und mittlere Unternehmen leiden unter den aggressiven
Geschäftsmodellen, speziell unter den extrem niedrigen Preisen. SHEIN kopiert bzw. klaut häufig Designs anderen Modemarken, was für kleinere Anbieter existenzbedrohend sein kann.
Populismus oder angemessene Wettbewerbskritik?
Ein zentraler Punkt in der Debatte um TEMU und SHEIN ist die Frage, ob die Kritik an ihnen durch Populismus geprägt ist oder auf berechtigten Wettbewerbsvorwürfen beruht. Populismus wird oft als politischer Stil beschrieben, der einfache Lösungen für komplexe Probleme bietet und dabei emotionale Rhetorik statt faktenbasierter Argumente nutzt. Gerade in westlich geprägten Ländern ist eine Skepsis gegenüber asiatischen Personengruppen und Unternehmen spürbar, die nicht selten mit antiasiatischen Ressentiments verknüpft ist. Die aggressive Preispolitik und die massiven Produktionskapazitäten von TEMU und SHEIN werden oft als Bedrohung für westliche Werte dargestellt, obwohl viele dieser Praktiken auch bei westlichen Unternehmen vorkommen. Dies führt zu der Frage, ob die Kritik tatsächlich darauf abzielt, faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, oder ob sie durch protektionistische Tendenzen getrieben wird.
Die amerikanische Regierung hat chinesische Unternehmen wiederholt als Bedrohung für die
nationale Sicherheit und Wirtschaft dargestellt. Ein weiterer Aspekt des Populismus in der
Debatte ist die Konzentration auf moralische Argumente wie Umwelt- und Arbeitsstandards.
Obwohl diese Kritikpunkte oft berechtigt sind, werden diese in einer stark antiasiatischen Art und Weise kommuniziert. Zwar werden diese Kritikpunkte auch bei anderen Unternehmen platziert, wie bspw. bei Zalando oder Amazon, allerdings sind diese Formulierungen dieser häufig sachlicher.
Ein Blick in die Zukunft
Die Praktiken von TEMU und SHEIN haben den Wettbewerb verschärft und etablierte Plattformen wie Amazon und Zalando sowie kleine und mittlere Unternehmen unter Druck gesetzt. Diese müssen ihre Strategien überdenken, sei es durch Premiumprodukte oder optimierte Lieferketten. Für Verbraucher bieten die niedrigen Preise kurzfristige Vorteile, doch die langfristigen Kosten für Umwelt und soziale Standards sind erheblich. Kleine und mittlere Unternehmen sollten ihre Alleinstellungsmerkmale wie lokale Produktion, Nachhaltigkeit und Qualität stärker betonen. Etablierte Plattformen können durch innovative Services und exklusive Partnerschaften Wettbewerbsvorteile schaffen. Das Bewusstsein für einen nachhaltigen Konsum in der Gesellschaft könnte dabei der Schlüssel sein. Qualität und Langlebigkeit sollten über kurzfristige Preisvorteile gestellt werden. Ebenfalls sollte die Gesellschaft Transparenz gegenüber fragwürdigen Geschäftspraktiken einfordern. Dabei können Verbraucher Unternehmen unter Druck setzen, soziale und ökologische Standards einzuhalten. Auch Regierungen sollten regulatorische Lücken schließen und faire Wettbewerbsbedingungen schaffen. Beispielsweise könnten zusätzliche Zölle, analog zu denen für chinesische E-Autos, auf Produkte von Plattformen außerhalb Europas eingeführt werden, um eine Chancengleichheit wiederherzustellen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat angekündigt, die Unternehmen TEMU und SHEIN stärker zu beobachten. Dies soll mit dem „Aktionsplan E Commerce“ durchgesetzt werden. Ebenfalls wurde eingeräumt, dass momentan gegenüber Händlern aus Drittstaaten bestehende Rechtsvorschriften noch nicht so konsequent durchgesetzt werden wie gegenüber europäischem Händler.