Der Artikel “It’s Not just a Game – Virtual Edgework and Subjective Well-Being in E-Sports” der Autoren Francesco Raggiotto und Daniele Scarpi aus dem Jahr 2023 beschäftigt sich mit der Frage, ob das subjektive Wohlbefinden durch E-Sports, ähnlich wie bei physischen Sportarten, positiv beeinflusst wird und durch welche psychologischen Prozesse dies geschieht. Die Analyse findet dabei aus der Perspektive der virtuellen Edgework Theorie statt, während die Forschungsfrage anhand einer Online-Umfrage mithilfe der moderierten Mediation als Forschungsmethode empirisch beantwortet wird.
1. Themeneinführung
Laut Statista wird für das Jahr 2024 prognostiziert, dass im E-Sports etwa 680 Millionen Spieler aktiv sein und 1,62 Milliarden US-Dollar Einnahmen generiert werden. E-Sport ist ein organisierter und kompetitiver Ansatz des Spielens von Computerspielen. Seit Entstehung in den 1990 Jahren ist die Branche auch durch technologischen Fortschritt und breites Interesse der Spieler und Zuschauer rasant gewachsen. Dabei umfasst der Prozess meist die Ausübung eines organisierten, digitalen Wettbewerbs mit verschiedenen Teams. Der vorliegende Artikel untersucht das subjektive Wohlbefinden im Kontext von E-Sports. Im Detail werden direkt zu Beginn des Artikels drei Fragen gestellt, welche beantwortet werden sollen.
1) Kann E-Sport zu subjektivem Wohlbefinden führen, so wie es Offline-Sportarten normalerweise tun?
2) Wenn ja, durch welchen psychologischen Mechanismus wird das Wohlbefinden hervorgerufen?
3) Welche theoretische Perspektive hilft, E-Sportler zu verstehen?
Um die Fragen zu beantworten, wird die Perspektive des sozialpsychologischen Konzepts der Edgework Theorie, welche von Hunter Lyng 1990 aufgestellt wurde, genutzt. Diese dient bereits als theoretische Perspektive zur Behandlung des Wohlbefindens bei Action- oder Extremsportarten in der physischen Welt und wird im Rahmen des Artikels in Verbindung zum E-Sports gesetzt und letztendlich in die Virtual Edgework Theorie übersetzt. Die Edgework Theorie ist ein Konzept, welches eine freiwillige unternommene Handlung umfasst, bei der die physischen und/oder psychologischen Grenzen des Individuums ausgelotet werden, um diese zu erweitern. Die Ursache liegt im „Sensation-seeking“, der Suche nach einem Sensationserlebnis, welches durch die beschriebene mentale und/oder physische Grenzüberschreitung erreicht wird. Letztendlich fördert das „Sensation-seeking“ und die damit verbundene Bewältigung der Herausforderung eine Verbesserung der Selbstvorstellung dem „Self-enhancement“ des Individuums, wodurch die Lücke der Selbstvorstellung und der Idealvorstellung verkleinert wird. Dieser Prozess bzw. diese Motivation sei beim E-Sports ähnlich, da die Spieler ebenfalls versuchten ihre Grenzen durch „Sensation-seeking“ und „Self-enhancement“ zu überwinden, um ihr Wohlbefinden letztendlich zu steigern. Der Artikel geht im Rahmen des konzeptionellen Modells der moderierten Mediation auf diese Aspekte der Theorie ein und versucht diese auf einer empirischen Grundlage durch statistische Korrelation zu belegen.
2. Abgrenzung zu anderen Studien
Insgesamt liefert der Artikel vier Hauptbeiträge, welche diesen von anderen Quellen, die sich mit ähnlichen Forschungsfragen auseinandersetzen, abgrenzt. Zum einen befassen sich andere Quellen meist nicht mit dem Wohlbefinden der Spieler, sondern betrachten Forschungsfragen aus der Marketing-Perspektive. Zum zweiten werde zu wenig auf den negativen Einfluss von Datenschutzrichtlinien auf das Wohlbefinden der Spieler hingewiesen. Der dritte Beitrag liegt darin, dass zu selten die „normalen Spieler“ im Fokus der Betrachtung stünden. Meist ginge es in ähnlichen Artikeln um Sponsoren, Entwickler oder die wenigen „Vollprofis“, welche mit E-Sports ihren Hauptverdienst generieren und so andere Motivationen, als die „normalen Spieler“ hätten. Der vierte und entscheidende Beitrag, welchen der Artikel liefert, ist, dass ein empirischer Ansatz gewählt wurde, um die Steigerung des Wohlbefindens durch E-Sports aus der Perspektive der virtuellen Edgework Theorie zu belegen.
3. Forschungsmethode
Für die Studie wurden 280 europäische, nicht-professionelle E-Sportler befragt, die einen Online-Fragebogen zu Themen wie Sensationssuche, Selbstverbesserung, Kontrollgefühl beim Spielen, Datenschutzbedenken und subjektivem Wohlbefinden ausfüllten. Die Analyse erfolgte durch eine multiple moderierte Mediationsanalyse, die es ermöglichte, die Abhängigkeit zwischen den verschiedenen Faktoren zu untersuchen.
Im Detail wurden folgende Effekte bzw. statistische Zusammenhänge mithilfe der moderierten Mediation dargestellt und auf Basis dessen Hypothesen aufgestellt:
4. Hypothesen und Ergebnisse der Studie
Hypothese 1 (H1) geht davon aus, dass Leute, die nach dem Kick suchen – also nach aufregenden und intensiven Erlebnissen – sich selbst als ständig wachsend und besser werdend empfinden. Das spannende Ergebnis der Studie ist, dass genau das der Fall ist: Diejenigen, die den Nervenkitzel lieben und sich gern Herausforderungen stellen, fühlen sich auch selbstbewusster und kompetenter. Die Studiendaten belegen eindrucksvoll, dass dieses Streben nach dem besonderen Kick tatsächlich Hand in Hand geht mit einem stärkeren Gefühl, sich selbst zu verbessern – mit einem ziemlich deutlichen Effekt von 0,73 und einer statistischen Signifikanz von p = 0,01.
Hypothese 2 (H2) baut auf den vorherigen Ergebnissen auf und stellt die These auf, dass ein erhöhtes Gefühl der Selbstverbesserung das subjektive Wohlbefinden positiv beeinflusst. Die Ergebnisse der Studie stützen diese Annahme. Personen, die ihre eigenen Fähigkeiten als verbessert einschätzen, erfahren eine Steigerung ihres allgemeinen Wohlbefindens. Die Studiendaten bestätigen diese Verbindung mit einem Effekt von 0,27 und einer statistischen Signifikanz von p = 0,01.
Hypothese 3 (H3) untersucht den Einfluss der wahrgenommenen Kontrolle und vertritt die Ansicht, dass diese einen moderierenden Effekt auf die Beziehung zwischen dem Streben nach Sensationen und der Selbstverbesserung hat. Konkret zeigen die Studienergebnisse auf, dass Personen, die beim Spielen ein Gefühl der Kontrolle erleben, tendenziell ein höheres Niveau an Selbstverbesserung erleben. Es wird deutlich, dass die wahrgenommene Kontrolle die Auswirkungen des „Sensation-seekings“ auf die Selbstverbesserung nur minimal beeinflusst, was durch einen Effekt von 0,11 bei einer Signifikanz von p = 0,04 aufgezeigt wird und die Hypothese damit nicht vollumfänglich bestätigt.
Hypothese 4 (H4) fokussiert auf die Relevanz von Datenschutzbedenken und stellt die These auf, dass diese Bedenken einen moderierenden Einfluss auf die Beziehung zwischen Selbstverbesserung und subjektivem Wohlbefinden haben. Gemäß den Ergebnissen der Studie erreichen Personen, die beim Spielen Sicherheit bezüglich ihrer Privatsphäre empfinden und davon ausgehen, dass ihre persönlichen Daten geschützt sind, ein höheres Maß an Wohlbefinden. Dieser Zusammenhang wird durch die erhobenen Daten gestützt, die einen Effekt von 0,33 bei einer statistischen Signifikanz von p = 0,01 aufweisen.
Die quantitativen Ergebnisse, dargestellt in Tabelle 2 und Abbildung 2 der Studie, illustrieren die komplexen Beziehungen zwischen den verschiedenen Variablen. Interessanterweise zeigte sich, dass die direkte Auswirkung der Sensationssuche auf das Wohlbefinden nicht signifikant war, was darauf hindeutet, dass die Selbstverbesserung als Mediator fungiert und damit eine zentrale Rolle in der Beziehung zwischen Sensationssuche und Wohlbefinden spielt. Letztendlich kann dies als Indiz verstanden werden, dass die beschriebene Edgework Theorie auch auf E-Sports anwendbar ist und psychologische Mechanismen ähnlich zu den bei physischen Sportarten sind.
5. Fazit
Diese Studie bietet wichtige Erkenntnisse für das Verständnis des psychologischen Wohlbefindens im Kontext des E-Sports. Sie zeigt auf, dass nicht nur die Sensationssuche, sondern auch die wahrgenommene Kontrolle und das Gefühl der Selbstverbesserung wesentliche Faktoren für das subjektive Wohlbefinden von E-Sportlern sind. Diese Ergebnisse sind nicht nur für die Spieler selbst von Bedeutung, sondern auch für Veranstalter von E-Sport-Events, Spieleentwickler und Marketingfachleute, die ein tieferes Verständnis der Bedürfnisse und Wünsche der E-Sport-Gemeinschaft anstreben. In einer Zeit, in der der E-Sport immer mehr an Bedeutung gewinnt, sind solche Erkenntnisse unverzichtbar. Sie helfen dabei, ein besseres Spielerlebnis zu schaffen und tragen dazu bei, dass Spieler nicht nur aufregende Erfahrungen machen, sondern sich auch in ihrer virtuellen Welt wohl und sicher fühlen. Letztendlich geht es darum, eine Umgebung zu schaffen, in der sich jeder Spieler entfalten und sein persönliches Wohlbefinden steigern kann.
6. Limitationen
Die aktuelle Forschung zu E-Sports und Wohlbefinden ist nicht abschließend. Zukünftige Studien sollten den Ursprung des „Sensation-seeking“ bei Gamern erforschen und ob dies aus psychologischen Motivationen oder Eigenschaften stammt. Außerdem ist es wichtig, die Bedingungen für Wohlbefinden in digitalen Umgebungen auch in Form von anderen geeigneten theoretischen Modellen zu untersuchen, einschließlich der Auswirkungen von Datenschutzbedenken und dem sogenannten „Privatsphärenparadoxon“, bei dem Nutzer persönliche Informationen im Austausch für belohnende Erlebnisse preisgeben.