The Bulletproof Glass Effect: Unbeabsichtigte Folgen von Datenschutzhinweisen

Glas

Einleitung

Jeder kennt sie und hat sie schon oft gesehen: Datenschutzhinweise sind in der heutigen Zeit Standard auf jeder Website, die sich in irgendeiner Form mit der Aufnahme und Verarbeitung von Nutzerdaten beschäftigt. Das Vorhandensein dieser Hinweise ist in vielen Fällen gesetzlich verpflichtend, unterscheidet sich aber oft in der Darstellungsform. In diesem Artikel geht es um die Frage, in welcher Form und Präsenz Datenschutzhinweise online am besten an den Kunden gebracht werden, um deren Kaufabsicht nicht zu verringern. Geben die Datenschutzhinwiese dem Kunden ein Gefühl von Sicherheit, oder ist ein gegenteiliger Effekt die Folge? In diesem Zusammenhang wird der sogenannte Bulletproof Glass Effect untersucht. Wir beziehen uns während des gesamten Beitrages auf einen Artikel der American Marketing Association aus 2022 („The Bulletproof Glass Effect: Unintended Consequences of Privacy Notices“ von Aaron R. Brough , David A. Norton, Shannon L. Sciarappa und Leslie K. John) den wir aufbereitet und analysiert haben.

Der Bulletproof Glass Effect beschreibt bezogen auf Datenschutzhinweise folgende Situation: Ähnlich wie bei einer kugelsicheren Scheibe dienen Datenschutzhinweise dazu, dem Kunden Sicherheit und Schutz zu bieten. Trotz des offensichtlichen Schutzes hat der Kunde aber eher das Gefühl von Verwundbarkeit, da ihm die Gefahr durch die Anwesenheit der Datenschutzhinweise erst richtig bewusst wird. Dieses Gefühl hätte dann einen negativen Einfluss auf die Kaufabsicht des Kunden. Um herauszufinden, ob es einen solchen Effekt gibt, welche Einflussfaktoren es gibt und wie Datenschutzhinweise zukünftig dargestellt werden sollten, wurden zunächst 5 Hypothesen aufgestellt, die später anhand von 7 verschiedenen Studien untersucht wurden.

Hypothesen

Hypothese 1: Führungskräfte erwarten, dass Datenschutzhinweise dazu führen, dass Kunden sich sicherer fühlen.

Hypothese 2: Es gibt einen Bulletproof Glass Effect. Präsente und deutliche Datenschutzhinweise verringern das Kaufinteresse, selbst wenn Risiken nicht erwähnt werden und explizit auf die Sicherheit hingewiesen wird.

Hypothese 3: Der Bulletproof Glass Effect wird durch sinkendes Vertrauen gesteuert.

Hypothese 4: Der Bulletproof Glass Effect setzt eher ein, wenn Verbraucher Sicherheit erwarten,  als wenn sie von vornherein misstrauisch sind.

Hypothese 5: Der Bulletproof Glass Effect wird abgeschwächt, wenn Datenschutzhinweise Wohlwollen ausdrücken.

Studien

Studie 1:

Anhand einer Befragung wurde Hypothese 1 überprüft. An der Befragung nahmen 70 Führungskräfte aus verschiedenen Unternehmen teil (28,6% weiblich, Ø-Alter = 31,9 Jahre). Alle Teilnehmer wurden gefragt, welche Auswirkungen das Anzeigen von Datenschutzhinweisen ihrer Meinung nach auf das Sicherheitsgefühl der Nutzer hat. Folgende Auswahlmöglichkeiten standen zur Auswahl:

  1. Nutzer fühlen sich sicherer
  2. Nutzer fühlen sich unsicherer
  3. Nutzer fühlen sich gleich sicher (keine Auswirkungen)

Die Testergebnisse zeigen, dass ein großer Teil (74,3%) der Führungskräfte der Annahme ist, dass Datenschutzhinweise das Sicherheitsgefühl der Kunden stärken.

Studie 2:

Studie 2 beschäftigt sich mit der Überprüfung von Hypothese 2. Dafür wurde ein A/B Test bei knapp 16.000 Nutzer innerhalb einer Woche auf der Website borrowell.com durchgeführt. Auf der Website durchlaufen alle Nutzer einen Registrierungsprozess. Zufällig wurden den Nutzern einer der folgenden Datenschutzhinweise angezeigt:

  1. Schwache Hervorhebung der Datenschutzhinweise nur über einen Link
  2. Starke Hervorhebung der Datenschutzhinweise mit zusätzlichen Informationen

Gemessen wurde der prozentuale Anteil abgeschlossener Registrierungsprozesse.

Das Testergebnis zeigt, dass der prozentuale Anteil abgeschlossener Registrierungen bei schwacher Hervorhebung der Datenschutzhinweise größer ist als bei starker Hervorhebung. Folglich existiert ein Bulletproof Glass Effect im Bezug auf die Darstellung von Datenschutzhinweisen. Selbst ein geringer Unterschied (1,82%) macht bei einer großer Nutzeranzahl einen großen Unterschied.

Studie 3:

Getestet wird Hypothese 3 anhand einer Befragung mit 600 Teilnehmern (56,3% weiblich, Ø-Alter = 38,24 Jahre). Allen Teilnehmern wird dieselbe Detailseite eines Produktes aus einem Online Shops gezeigt. Die Hälfte der Teilnehmer bekommen auf der Website einen Hinweis mit der Aufforderung, die Datenschutzhinweise zu lesen, die andere Hälfte erhält keine Aufforderung. Alle Teilnehmer wurden zu folgenden Punkten befragt:

  1. Einstellungsbezogenes Produktinteresse („Wie interessiert wären Sie daran, mehr über das Produkt zu erfahren?“) Bewertungsskala 0-100
  2. Verhaltensorientiertes Produktinteresse („Möchten Sie jetzt weitere Produktinformationen erhalten?“) Ja/Nein
  3. Vertrauensskala („Wie sicher fühlen Sie sich bei einem Kauf im Bezug auf Datensicherheit?“) Bewertungsskala 0-100

Sowohl einstellungs- als auch verhaltensbasiertes Produktinteresse wurde ohne Datenschutzhinweise besser bewertet als mit Datenschutzhinweisen. Der Bulletproof Glass Effect wird also auch hier wieder nachgewiesen.

Es wurden vier verschiedene Vertrauensmaße ermittelt. Der indirekte Effekt auf das einstellungsorientierte und verhaltensorientierte Maß wird in der nebenstehenden Tabelle aufgezeigt.

Deutlich wird, dass es immer einen negativen indirekten Effekt von Vertrauen auf das Kaufinteresse in unterschiedlicher Ausprägung gibt. Der Bulletproof Glass Effect wird also unter anderem durch ein sinkendes Sicherheitsgefühl/Vertrauen ausgelöst.

Studie 4:

Hypothese 4 wird anhand einer Befragung mit 529 Teilnehmern (48,4% weiblich, Ø-Alter = 37,8 Jahre) überprüft. Die Probanden evaluieren ein reales Produkt von https://ruggie.co. Dafür werden sie in zwei Gruppen unterteilt. Einer Gruppe wird ein Newsartikel über ruggie.co und deren positiven und sicheren Umgang mit Nutzerdaten zugespielt, der anderen Gruppe ein Newsartikel über ruggie.co und deren negativer und unsicherer Umgang mit Nutzerdaten. Der Hälfte der jeweiligen Gruppe werden danach Datenschutzhinweise zugespielt, der anderen Hälfte nicht. Zuletzt wurden die Teilnehmer bezüglich des Kaufinteresses gefragt (Bewertung 0-100).

Die Ergebnisse der Teilnehmer mit dem sicheren Newsartikel beweisen erneut den Bulletproof Glass Effect. Ein anderes Bild ergibt sich bei den Teilnehmern mit dem unsicheren Newsartikel. Vertrauen ist ein Einflussfaktor auf den Bulletproof Glass Effect. Dieser tritt stärker auf, wenn Sicherheit erwartet wird.

Studie 5:

602 Teilnehmer ( 59,6%, Ø-Alter = 41,9 Jahre) werden befragt um Hypothese 5, ob wohlwollende Hinweise die negative Auswirkung von Datenschutz Hinweisen reduzieren, zu testen. Hierfür evaluieren die Teilnehmer ein Bild eines Produkts mit Beschreibung und werden drei verschiedenen Szenarien zugeordnet.

  1. Szenario: Teilnehmer bewerten direkt ihr Interesse an einem Kauf (Skala von 0-100)
  2. Szenario: Zuvor wird ein praxis-gemäßer Datenschutzhinweis gezeigt
  3. Szenario: Vorher wird ein wohlwollender Hinweis gezeigt („Wir respektieren deine Privatsphäre und versprechen diese zu schützen“).

Die ermittelten Mittelwerte beweisen, dass Wohlwollen in Datenschutzhinweisen die negative Auswirkung auf das Kaufinteresse reduziert, jedoch nicht so stark wie bei abwesenden Hinweisen.

Studie 6:

In Studie 6 wird Hypothese 5 noch weiter getestet, dazu werden 1125 Teilnehmer ( 51,3%, Ø-Alter = 40,2 Jahre) befragt, um herauszufinden ob der Bulletproof Glass Effect durch zu detaillierte Datenschutzmitteilungen auftritt.

Den Probanden wird dieser Screenshot in verschiedenen Formen gezeigt. Eine Variante enthält keinen Hinweis, eine andere Variante enthält einen Pop-Up mit einem Hinweis auf die Datenschutzerklärung und die letzte ergänzt diesen Hinweis mit einem wohlwollenden Inhalt. Anschließend bewerten Sie ihr Kaufinteresse (0-100).

Die Ergebnisse beweisen erneut H5 und zeigen, dass Wohlwollen innerhalb der Datenschutzmitteilung den Effekt umkehrt. Außerdem wird festgestellt, dass auch ohne detaillierte Informationen in der Mitteilung, der Bulletproof Glass Effect auftreten kann.

Studie 7

Aaron R. Brough , David A. Norton, Shannon L. Sciarappa und Leslie K. John vermuten, dass die Abwesenheit einer erwarteten Datenschutz Mitteilung das Kaufinteresse ebenfalls mindert. Diese Vermutung testen sie anhand des Apple App-Stores, da Apple in 2020 Angaben zur Datenschutzerklärung einer App erforderlich machte. Hierzu werden 300 Teilnehmer ( 52,7% weiblich, Ø-Alter = 39,3 Jahre ) befragt.

Allen Teilnehmern wird der linke App-Screenshot gezeigt. Eine Gruppe geht direkt zur üblichen Bewertung über. Die anderen beiden Gruppen sehen zuvor jeweils die (nicht) vorhandenen Datenschutzdetails. Anschließend können die Teilnehmer auswählen, ob sie einen Code zum freiem Download der App (Preis $2,99) erhalten möchten.

Die Ergebnisse bestätigen die Vermutung: Auffallend abwesende Datenschutzdetails senken ebenfalls das Kauf/Downloadinteresse, allerdings in ähnlichem Maße wie vorhandene Details.

Die Ergebnisse des Interesses an einem Rabattcode weisen noch einen Unterschied auf: Hier waren Teilnehmer, denen der Screenshot mit fehlenden Datenschutzdetails gezeigt wurde, dennoch interessierter an einem Rabattcode. Dies ist auf ein mögliches paradoxes Verhalten bei Nutzern zurückzuführen.

Ergebnisse

In allen entsprechenden Studien wurde der Bullet Proof Glass Effect nachgewiesen, besonders detaillierte und auffällige Datenschutzhinweise mindern das Kaufinteresse stark. Aber auch abwesende Hinweise können das Kaufinteresse mindern, jedoch nur wenn der Nutzer eine Mitteilung oder Details zum Datenschutz erwartet und die Abwesenheit ihm dadurch explizit auffällt. Wohlwollen steuert das Maß des Bulletproof Glass Effect’s. Im Rahmen dieser Studie wird bewiesen, dass Wohlwollen innerhalb der Mitteilung (z.B. „Der Schutz Ihrer Privatsphäre liegt uns am Herzen!“), den negativen Effekt auf das Kaufinteresse umkehren kann. Außerdem spielen die Erwartungen und das Vertrauen des Nutzers eine wichtige Rolle, wurden diese vorher mit negativen Nachrichten über das Unternehmen konfrontiert, fiel eine abwesende Datenschutzmitteilung ebenfalls negativ auf.

Praxisbeitrag

  • Differenzen zwischen den Erwartungen der Manager und dem tatsächlichem Nutzerverhalten festgestellt
  • Konkrete Handlungsempfehlungen für die Umsetzung von Datenschutzmitteilungen und Hinweisen

Zukünftige Forschung

Die Studie wirft einige weitere interessante Fragen auf, die es in Zukunft noch zu erforschen gilt.

  • Datentransparenz wird immer notwendiger, inwiefern ändert sich dadurch die Nutzerwahrnehmung?
  • Wie wirken sich Datenschutzmitteilungen auf die direkten Bedenken bei Nutzern aus?
  • In welchem Maß beeinflussen andere Methoden, die dem Nutzer Datenschutz kommunizieren, das Kaufinteresse? (z.B Datenschutz-Icons, Trust Badges etc.)
  • Zu welchem Grad verzerren individuelle Unterschiede der Nutzer die Wahrnehmung?

Quelle

Brough , Aaron R. / Norton, David A. / Sciarappa, Shannon L. / John, Leslie K. (2021) „The Bulletproof Glass Effect: Unintended Consequences of Privacy Notices“, in: Journal of Marketing Research, Vol. 59(4), S. 739-754

https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/00222437211069093

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