Ein authentischer Urlaub im Bairro Alto in Lissabon. Die Kultur und die Lebensweise der Menschen hautnah kennenlernen, und das am besten nicht in überteuerten Hotels. Die Plattform Airbnb macht es möglich direkt bei Einheimischen zu übernachten und das ganz besondere Flair der Stadt wahrzunehmen. Für den Weg zum Restaurant schnell noch ein Uber bestellt und der Begleitung das Geld für die Mahlzeit per PayPal zurückbezahlt – ein Urlaub, aus dem Plattform-Geschäftsmodelle kaum noch wegzudenken sind. Beschriebene Plattformen profitieren von dem Phänomen der Netzwerkeffekte: Je mehr Nutzer der einen Seite angemeldet sind, desto wertvoller ist der Nutzen der Plattform für die andere Seite der Nutzer. Doch was bringt es dem Urlauber bei Airbnb angemeldet zu sein, ohne dass es angebotene Wohnungen gibt? Was bringt es dem Uber-Fahrer, Teil der Plattform Uber zu werden, wenn es keine potenziellen Fahrgäste gibt? Ein Dilemma, vor dem die meisten Platt-formen bei Gründung stehen: Das Henne-Ei-Dilemma des Audience Buildings.
Um die Allgegenwärtigkeit zu erreichen, die die genannten Unternehmen heute genießen, bedurfte es einer Lösung des beschriebenen Dilemmas. Im Rahmen einer Seminararbeit der FH Wedel wurde diese Problematik genauer untersucht. Ziel war es, verschiedenen Plattform-Arten passende Strategien zur Lösung der beschriebenen Problematik empfehlen zu können.
Arten von Plattformen
Unternehmen wie Google oder Facebook führen dazu, dass der Begriff „Plattform“ heute anders interpretiert wird, als es noch vor Jahren der Fall war. Damals stand der Begriff noch für technologische, auf spezifische Probleme zugeschnittene Lösungen, um Geschäftsaktivitäten von Unternehmen zu erleichtern. Heute stehen Plattformen für die Zusammenführung von Menschen, Unternehmen und Ressourcen, um für alle Beteiligten Mehrwerte zu generieren [1]. Auch wenn alle Plattformen vor dem gleichen Problem stehen, wie sie ihre Nutzer ansprechen und binden, so unterschiedlich sind doch ihre Kernkompetenzen und die damit einhergehenden Herausforderungen. So muss die Service-Plattform Uber eine andere Strategie wählen als die Produkt-Plattform Amazon oder die Kommunikations-Plattform WhatsApp. Für den ersten Schritt zur Lösung des Henne-Ei-Problems ist die Identifizierung der Plattform-Art, wie beispielsweise Abbildung 1 zeigt, grundlegend.
Let the Network do the Work
Umso mehr Nutzer, desto besser. Netzwerkeffekte spielten schon bei der Erfindung des Telefons eine große Rolle, denn umso mehr Menschen eines besaßen, umso mehr wuchs der Wert des Eigenen [2]. Plattformen sind gleichermaßen von diesem Phänomen abhängig und müssen versuchen, anhand von Audience Building Strategien diese Netzwerkeffekte voranzutreiben bis die kritische Masse, also die Masse an Nutzern, durch die sich die Netzwerkeffekte verselbstständigen, erreicht ist. Auch hier ist die Art der Plattform ein ausschlaggebender Faktor für die Wahl der Strategie, denn bei einer mehrseitigen Plattform kann die eine Nutzergruppe eine essenziellere Rolle einnehmen als die andere. So zieht beispielsweise eine bei Airbnb angebotene Wohnung eine größere Menge an potenziellen Interessenten an.
Fake it till you make it – Wie PayPal das Henne-Ei-Problem löste
Plattformen stehen einige Herangehensweisen zur Verfügung, um das Henne-Ei-Problem zu überwinden. Eine der herausgearbeiteten Strategien ist das sogenannte „Growth Faking“. Bei dieser Strategie wird, je nach Plattform-Art, eine künstliche Nachfrage oder künstliche Inhalte simuliert. Potenziellen Nutzern wird vorgetäuscht an einem bereits bestehenden und relevanten Geschäftsprozess teilnehmen zu können. Mit der steigenden Anzahl an Nutzern verschwinden auch allmählich die vorgetäuschten Inhalte. PayPal bediente sich dieser Strategie, indem Sie sich die bereits bestehende Masse an Nutzern der Handelsplattform eBay ebenfalls zu Nutze machte. Durch Bots, die auf eBay Produkte kauften und wiederverkauften, dabei aber nur PayPal als Bezahlmethode akzeptierten, wurde den Nutzern eine Omnipräsenz PayPals vorgetäuscht und gezwungen sich dort zu registrieren [3]. Im Rahmen der Seminararbeit wurden insgesamt zehn Strategien identifiziert, die bei der Lösung des Henne-Ei-Problems helfen können. Darunter beispielsweise noch die „Marquee-Strategie“, die das Phänomen beschreibt, dass es in einigen Branchen eine kleine Gruppe an Personen oder Unternehmen gibt, deren Partizipation bei einem Plattform-Geschäftsmodell viele weitere Nutzer anziehen kann [4].
Entwicklung des strategischen Rahmenwerks
Um das Ziel der Arbeit zu erreichen und Plattformen eine Handlungsempfehlung aussprechen zu können, welche Strategie für ihr Wachstum am besten geeignet wäre, ist ein Rahmenwerk aus Dimensionen und den jeweiligen Ausprägungen, basierend auf den gesammelten Erkenntnissen, entstanden. Dimensionen wie die physische Abhängigkeit oder die Abhängigkeit von sozialen Strukturen werden jeweils mit den Plattformarten und den Strategien in Verbindung gesetzt und deren Relevanz abgewogen. Durch ein Matching der Ergebnisse sind klare Tendenzen zu erkennen, welche der Audience Building Strategien sich für die verschiedenen Plattform-Arten empfehlen lassen.
Handlungsempfehlungen
Das Ergebnis des Matchings liefert Bündel an Strategien, die Plattform-Arten für ein erfolgreiches Audience Building empfohlen werden können. Anhand eines Beispiels lässt sich die Anwendung und das Ergebnis veranschaulichen. Bei einer Kommunikations-Plattform handelt es sich um eine Plattform-Art mit hohen Lock-In Effekten. Nutzer einer Kommunikations-Plattform wollen häufig ihre bereits bestehenden Offline-Verbindungen zu Freunden und Familien auf diese Weise erweitern. Aufgrund dessen spielt die Dimension „Abhängigkeit von sozialen Strukturen“ bei der Zuweisung der richtigen Strategien ebenfalls eine entscheidende Rolle. In Kombination mit weiteren dieser Beispielfaktoren hat das Matching (Abbildung 2) das Strategie-bündel bestehend aus der „Micro-Market“-, „Offer Stand-Alone Value“-, „Offer Tools and Training“- und „Subsidizing Users“-Strategie als Handlungsempfehlung geliefert. Das Bündel vereint die Wichtigkeit der Lock-In Effekte und der bestehenden sozialen Strukturen für die Plattform-Art als auch für die gewählten Strategien.
Insgesamt wurden im Rahmen der erstellten Arbeit für neun verschiedene Plattform-Arten Empfehlungen ausgesprochen. Wenn sich zukünftig in nahezu allen Branchen Plattform-Geschäftsmodelle etablieren sollten, wird die richtige Wahl einer Audience Building Strategie immer mehr an Bedeutung gewinnen. Sicher ist, dass nur Plattformen, die geeignete Strategien für das Audience Building anwenden, auch zukünftig treue Begleiter für Urlauber darstellen werden.
Quellen
[1] Gatautis, Rimantas (2017) „The Rise of the Platforms: Business Model Innova-tion Perspectives“, in: Engineering Economics, Jg. 28, Nr. 5, S. 585-591.[2] Katz, Michael L./Shapiro, Carl (1985) „Network Externalities, Competition, and Compatibility“, in: The American Economic Review, Jg. 75, Nr. 3, S. 424-440.
[3] Choudary, Sangeet Paul (2015) Platform Scale: How an emerging business mo-del helps startups build large empires with minimum investment, Platform Thinking Labs.
[4] Parker, Geoffrey/Van Alstyne, Marshall W./Choudary, Sangeet Paul (2016) „Plat-form Revolution: How Networked Markets Are Transforming the Economy and How to Make Them Work for You“, 1. Aufl., New York: W.W. Norton & Company.