Einleitung
Die „Last-Mile Delivery“ bezieht sich im Supply Chain Management auf den letzten abschließenden logistischen Schritt der Lieferkette, bei welchem ein Produkt von einem Lager oder Versandzentrum zum endgültigen Ziel, dem Endkunden transportiert wird. Dieser Teil des Logistikprozesses ist mit einigen Herausforderungen verbunden und ist oft der komplexeste und kostenintensivste, da dieser eine direkte Interaktion mit dem Kunden beinhaltet. Zu den Herausforderungen gehören unter anderem grundlegend die Kostenminimierung, die Gewährleistung von Transparenz, die Steigerung der Effizienz und die verbesserte Nutzung der Infrastruktur. [1]
In der E-Commerce-Branche hat die „Last-Mile Delivery“ eine besondere ökonomische Relevanz erlangt, da das Online-Shopping in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Die E-Commerce Umsätze in Deutschland von 1999 bis 2019 sind von 1,1 Mrd. Euro auf 59,2 Mrd. Euro über die Jahre stetig angestiegen. In dem Jahr 2020 ist der Umsatz überdurchschnittlich stark auf 72,8 Mrd. Euro angestiegen und wird Prognosen nach im Jahr 2023 auf 89,4 Mrd. Euro geschätzt. [2]
Diese Entwicklung ist vor allem auf den technologischen Fortschritt und auf die Gewohnheiten der Konsumenten zurückzuführen, welche durch die COVID-19- Pandemie in den letzten Jahren noch beschleunigt wurden.
Ziel der Arbeit
Das primäre Ziel dieser systematischen Literaturrecherche ist es, einen umfassenden und strukturierten Überblick über die aktuellen Ansätze, Entwicklungen und Innovationen in der „Last-Mile Delivery“ Branche zu geben. Im Rahmen dieser Studie wird besonderes Augenmerk auf die Identifizierung jüngster Trends in der „Last-Mile Delivery“ gelegt, einschließlich der Nutzung autonomer alternativer Fahrzeuge und Drohnentechnologie, sowie Trends, welche die Effizienz sowie die Kosten und Umweltauswirkungen der Lieferprozesse beeinflussen.
Methodik
Im Rahmen der Seminararbeit wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. Die Literaturrecherche wurde anhand vordefinierter Suchbegriffe in den Datenbanken IGI-Global, IEEE, Researchgate und Google Scholar durchgeführt. Gefunden wurden 46 Publikationen, welche 9 verschieden Ansätze vorstellen.
Ansätze
Airborne Fulfillment Center (AFC)
Die Studie von Jeong et al. (2021) untersucht ein von Amazon patentiertes System namens Airborne Fulfillment Center (AFC), welches ein schwebendes Logistikzentrum beschreibt. In einer Höhe von 45.000 Fuß sollen leichte, sich oft verkaufende Artikel von Lieferdrohnen zu Kunden oder Abholstationen transportiert werden. Die Beweglichkeit der AFCs in der Luft ermöglicht eine dynamische Anpassung an Nachfrage und Wetter, wodurch die Effizienz der letzten Meile erhöht und die CO2-Emissionen potenziell verringert werden könnten. Schnelle Lieferungen, sogar innerhalb von zehn Minuten, wären mit diesem Ansatz möglich. Dennoch gibt es signifikante Herausforderungen in technischer, rechtlicher, ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht, welche aktuell noch zu bewältigen sind, bevor eine Integration in bestehende Prozesse der Logistik erfolgen kann. [3]
Deep Reinforcement Learning for Trucks and Drones
Die Studie von Bi et al. (2023) befasst sich mit der effizienten Kombination von LKWs und unbemannten Drohnen für Lieferungen auf der letzten Meile. LKWs dienen hierbei als mobile Start- und Landeplattformen für Drohnen, welche Lieferungen abseits der LKW-Route simultan übernehmen. Der Ansatz nutzt Deep Reinforcement Learning, um die Routen der Fahrzeuge optimal zu planen. Dieses maschinelle Lernverfahren belohnt Entscheidungen, welche ein festgelegtes Ziel am effizientesten erreichen. Insgesamt kombiniert der hybride Ansatz beider Fahrzeugtypen die schnelle Transportfähigkeit von Drohnen mit der Ladekapazität von LKWs und maximiert so die praktischen Eigenschaften, welche in der Logistik in Anbetracht des starken Wachstums nötig werden.
Das Reinforcement Learning Modell nutzt reale Straßennetzdaten für Simulationen und trainiert den Algorithmus mit dem Ziel, die Wartezeit der Kunden zu minimieren und die Ressourcenauslastung zu maximieren. Die Studie zeigt, dass Handlungsbeschränkungen für die Agenten (LKWs und Drohnen) die Lerneffizienz und -leistung des Modells verbessern. Langfristig könnten diese Erkenntnisse genutzt werden, um komplexere Umgebungen zu berücksichtigen und Algorithmen für die koordinierte Auslieferung mit mehreren LKWs und Drohnen weiterzuentwickeln. [4]
Zipline Delivery Drones
Die Studie von Ackerman & Koziol (2019) stellt Zipline’s innovative Drohnenlieferkonzept vor, welches Lieferungen an Privatpersonen präzise und geräuschlos ermöglicht. Im Unterschied zu Ziplines früheren Projekten der Blutlieferung per Fallschirmabwurf, kombiniert dieses neue System eine Starrflügeldrohne mit einem kleineren Droide. Die Starrflügeldrohne transportiert den Droide, welcher an einem Seil befestigt ist, und kann ihn mittels einer Winde für eine schonende Lieferung absenken. Dieses System eignet sich für jede Wetterlage, erreicht Geschwindigkeiten von bis zu 112 km/h und hat einen Einsatzradius von ca. 16 Kilometern. Die Nutzlast beträgt 2,5 bis 3,5 Kilogramm. Bei der Zustellung schwebt die Starrflügeldrohne in sicherer Höhe, während der Droide das Paket präzise in einer kleinen, nur halbmetergroßen Lieferzone platziert. Nach der Lieferung wird der Droide wieder eingezogen. Dieses fortschrittliche Liefersystem kann in bestehende Logistikprozesse integriert werden und wird bereits erfolgreich für Lieferungen an Gesundheitseinrichtungen eingesetzt. Der Ansatz der hybriden Zustellung stellt einen bedeutenden Schritt in der Evolution der E-Commerce-Logistik dar. [5]
Alternative Vehicles
Die Studie von Boysen et al. (2018) beschreibt einen Ansatz, welcher autonome Lieferroboter mit einem speziell ausgestatteten LKW kombiniert, um die Herausforderungen der letzten Meile im E-Commerce zu bewältigen. Diese autonomen Roboter, geladen mit modernster Navigationstechnik, liefern Pakete in verkehrsreichen Gebieten zielgenau aus und kehren nach der Auslieferung zum Roboterdepot zurück. Der LKW dient als mobile Verteilplattform und Überwachungszentrale, welcher die Effizienz steigert. Dieses Konzept wird von Mercedes Benz und Starship Technologies mit einem Projekt namens „Vans and Robots“ erforscht, das bereits in deutschen Städten getestet wird. Es zielt darauf ab, einen schnelleren, zuverlässigeren und kundenorientierten Lieferdienst zu bieten, der auf die Bedürfnisse des modernen E-Commerce zugeschnitten ist. [6]
Micro-Hubs and Crowd-Working
Die Studie von Castillo et al. (2018) untersucht ein Crowdworking-Modell für die letzte Meile, welches eine flexible Belegschaft nutzt, um den Bedürfnissen des Onlinehandels gerecht zu werden. Dabei werden Lieferungen durch eine „Crowd“ von unabhängigen Lieferanten ausgeführt, die lokale Kenntnisse und Verfügbarkeit nutzen, um eine effiziente, skalierbare und kundenorientierte Lieferung zu bieten. Ein weiteres Konzept, getestet von Ballare & Lin, verwendet Microhubs und Crowdshipping, um die Lieferung innerhalb definierter Servicezonen zu optimieren. Pakete werden von Crowdshippers zu den Microhubs gebracht, dort sortiert und gelagert, bevor sie durch eine interne Flotte zu den Ziel-Microhubs transportiert werden. Dieses Modell wurde als erfolgreich bewertet und reduziert LKW-Kilometer, Betriebskosten und Kraftstoffverbrauch erheblich im Vergleich zum traditionellen Hub-and-Spoke-System, insbesondere bei wachsenden Netzwerkgrößen. Der Erfolg hängt jedoch von der Verfügbarkeit und der Bereitschaft der Crowdshipper ab, die Lieferanforderungen zu erfüllen. [7]
Smart-Lockers
Die Studie von Iwan et al. (2016) und Seghezzi et al. (2022) präsentiert Smart Locker-Systeme als innovative Lösung für die Last-Mile Delivery im E-Commerce, welche eine sichere und flexible Alternative zur herkömmlichen Paketzustellung bietet. Durch die rund um die Uhr verfügbaren Schließfächer können Kunden ihre Pakete an einem zentralen Ort abholen, was eine Integration in persönliche Zeitpläne ermöglicht. Die Sendung erfolgt über ein Kundenkonto mit anschließender Paketversendung über ein Paketfach. Kunden erhalten zur Paketabholung einen Code per E-Mail und SMS. Dieses System minimiert Fehllieferungen und trägt zu wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen bei, indem es Verkehrsemissionen reduziert. Kosteneinsparungen sind im städtischen und ländlichen Bereich deutlich, wobei insbesondere in ländlichen Gegenden durch geringere Betriebs- und Investitionskosten die Einsparungen noch größer ausfallen können. [8][9]
Route Optimization
Die folgenden Ansätze stammen alle aus der Studie von Awwad et al., (2018) und beschäftigen sich mit Maßnahmen welche tagtäglich auf der letzten Meile genutzt werden.
Batching
Der Ansatz des Batching oder der Bestellkonsolidierung hält Bestellungen für einen gewissen Zeitraum zurück, um mehrere Aufträge desselben Kunden zu bündeln. Dies erhöht durch ein mathematisches Modell die Versandeffizienz, optimiert Lieferprozesse und reduziert den Einsatz von Ressourcen.
Optimization
Der Ansatz beschreibt die Auswahl der effizientesten Lieferstrecke auf der letzten Meile durch die Zuordnung des optimal passenden Fahrzeugs zum entsprechenden Liefergebiet, basierend auf einer statistisch-mathematischen Methode. Diese Methode berücksichtigt Faktoren wie Fahrzeugart, Straßenbeschaffenheit und Verkehr. Bei einer Testanwendung in Mexico City konnten etwa 40 Tonnen CO2 eingespart werden. Für eine breitere Anwendung sind individuelle Anpassungen an die lokalen Gegebenheiten jeder Stadt erforderlich, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. [10]
Minimal left turn Policy
Die UPS „Minimal Left Turn Policy“ verbessert die Effizienz von Lieferfahrten, indem sie Linksabbiegen vermeidet. Durch diese Maßnahme können Wartezeiten an Ampeln reduziert, der Kraftstoffverbrauch gesenkt, das Unfallrisiko minimiert und die kognitive Last der Fahrer verringert werden. Diese nachweislich effektive Strategie führte zu erheblichen Einsparungen von Treibstoff und CO2-Emissionen und steigerte die Paketzustellkapazität von UPS deutlich. [10]
Backhauling
Der Ansatz des Backhauling wird als effektive Methode beschrieben, um leere LKW-Fahrten im Kontext des E-Commerce zu verringern, indem Lieferfahrzeuge Retouren während oder nach der Auslieferung direkt einsammeln. Diese Strategie steigert die Effizienz, optimiert CO2-Emissionen und minimiert ungenutzte Kapazitäten. Die Logistikunternehmen sind jedoch auf die in der Branche kontrovers diskutiert Retouren angewiesen. [10]
Fazit
Die systematische Literaturrecherche im Bereich der „Last-Mile Delivery“ deckt ein breites Spektrum an Strategien und Innovationen auf, die Effizienz, Nachhaltigkeit und Kundenzufriedenheit verbessern sollen. Dazu zählen Routenoptimierung, autonome Lieferfahrzeuge, ferngesteuerte Drohnen, und urbane Logistikmodelle wie Mikro-Depots. Nachhaltige Praktiken wie Elektrofahrzeuge und Fahrradkuriere werden hervorgehoben, um CO2-Emissionen zu senken. Keine Einzellösung kann alle Herausforderungen meistern; vielmehr ist eine Kombination aus verschiedenen Ansätzen nötig. Zukünftige Forschung sollte sich auf Fallstudien und Prototypen fokussieren, um die Modelle zu verfeinern und praxisnah zu validieren. Fallstudien liefern Einblicke in spezifische Herausforderungen und die Wirksamkeit von Liefermethoden, während Prototypen innovative Konzepte in der Praxis testen. Die Forschung sollte praxisorientiert weitergeführt werden, um Theorie und Praxis zu verknüpfen und anwendbare Lösungen zu schaffen. Allerdings unterliegt die Recherche Beschränkungen, wie der Auswahl der Datenbanken, Open-Access-Begrenzungen, Publikationsbias, subjektiver Quellenauswahl und zeitlichen Einschränkungen, was die Ergebnisse verzerren kann. Diese Limitationen müssen berücksichtigt werden, um die Validität der Forschung zu gewährleisten.
Abbildungen
Abbildung 1: Operations of Amazon AFC delivery System
Abbildung 2: A drone demonstrates delivery capabilities from the top of a UPS
truck
Abbildung 3: Zipline unveils P2 delivery drone
Abbildung 4: Mercedes Benz Vans and Robots concept
Quellen
[1] Last mile (transportation). (2023). In Wikipedia. https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Last_mile_(transportation)&oldid=1177336250#Usage_in_distribution_networks [2] E-Commerce—Entwicklung des Umsatzes 2023. (o. J.). Statista. Abgerufen 1. November 2023, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/3979/umfrage/e-commerce-umsatz-in-deutschland-seit-1999/ [3] Jeong, H. Y., Song, B. D., & Lee, S. (2021). The Flying Warehouse Delivery System: A Quantitative Approach for the Optimal Operation Policy of Airborne Fulfillment Center. IEEE Transactions on Intelligent Transportation Systems, 22(12), 7521–7530. https://doi.org/10.1109/TITS.2020.3003900 [4] Bi, Z., Guo, X., Wang, J., Qin, S., & Liu, G. (2023). Deep Reinforcement Learning for Truck-Drone Delivery Problem. Drones, 7, 445. https://doi.org/10.3390/drones7070445 [5] Ackerman, E., & Koziol, M. (2019). The blood is here: Zipline’s medical delivery drones are changing the game in Rwanda. IEEE Spectrum, 56(5), 24–31. https://doi.org/10.1109/MSPEC.2019.8701196 [6] Boysen, N., Schwerdfeger, S., & Weidinger, F. (2018). Scheduling last-mile deliveries with truck-based autonomous robots. European Journal of Operational Research, 271(3), 1085–1099. https://doi.org/10.1016/j.ejor.2018.05.058 [7] Castillo, V. E., Bell, J. E., Rose, W. J., & Rodrigues, A. M. (2018). Crowdsourcing Last Mile Delivery: Strategic Implications and Future Research Directions. Journal of Business Logistics, 39(1), 7–25. https://doi.org/10.1111/jbl.12173 [8] Iwan, S., Kijewska, K., & Lemke, J. (2016). Analysis of Parcel Lockers’ Efficiency as the Last Mile Delivery Solution – The Results of the Research in Poland. Transportation Research Procedia, 12, 644–655. https://doi.org/10.1016/j.trpro.2016.02.018 [9] Seghezzi, A., Siragusa, C., & Mangiaracina, R. (2022). Parcel lockers vs. home delivery: A model to compare last-mile delivery cost in urban and rural areas. International Journal of Physical Distribution & Logistics Management, 52(3), 213–237. https://doi.org/10.1108/IJPDLM-03-2020-0072 [10] Awwad, M., Shekhar, A., & Iyer, A. S. (2018). Sustainable Last-Mile Logistics Operation in the Era of E- Commerce.Von Tim Richter und Philipp Teichmann