Dieser Frage haben sich Forschende in der Studie „The Effectiveness of Triggered Email Marketing in Addressing Browse Abandonments“ aus dem Journal of Interactive Marketing nachgegangen.
Was ist Retargeting und womit wurde sich in der Studie beschäftigt?
Beim Retargeting geht es um das erneute Ansprechen von Kunden, die vorher schon einmal mit der eigenen Website oder über einen anderen Kanal mit einem Unternehmen Kontakt hatten. Diese Kunden kennen somit bereits das Unternehmen und vor allem das Produkt und gelten als „Warm“-Traffic. Das bedeutet, dass sie im Gegensatz zu unternehmensfremden beziehungsweise produktfremden Kunden, dem „Cold“-Traffic, eher dazu geneigt sind, einen Kauf zu tätigen. Hier geht es genauer gesagt um das Retargeting von Browsing Abbrechern, also Kunden, die z.B. nach Fernsehern auf der Website geschaut haben, jedoch nichts in den Warenkorb gelegt oder gekauft haben. Andere Arten können die Warenkorbabbruchmails sein, also Kunden die etwas in den Warenkorb gelegt, aber nicht gekauft haben. In diesem Fall werden die Retargeting-Nachrichten via E-Mail versendet.
Vor dem eigenen Experiment wurden einige Forschungen und Recherchen angestellt, hierbei kam heraus, dass etwa ein Viertel aller Händler durch Web-Aktivitäten gesteuertes E-Mail Marketing betreiben. Des Weiteren wurde bei 16 Händlern getestet, ob diese Mails versenden. Im Durchschnitt werden wenn Artikel im Warenkorb liegen, 16 Mails im Monat versendet. Meistens ein paar Stunden nach dem Abbruch z.B. des Warenkorbs.
Was soll in dem Experiment herausgefunden werden?
Mit dem eigenen Experiment soll herausgefunden werden, ob und welchen Einfluss Retargeting auf die Conversion Rate und die Warenkorbhöhe hat. Außerdem soll herausgefunden werden, ob dieser Effekt kanalübergreifend nachweisbar ist, also Online und Offline oder nur Online. Und die letzte Frage ist, ob der Effekt nur in den beworbenen Kategorien vorherrscht oder auch andere Kategorien beeinflusst werden.
Wie wurde das Experiment durchgeführt?
Das Experiment zum Journal wurde in Kooperation mit einem spartenübergreifenden Multi-Channel-Händler in Chile durchgeführt. Dieser macht circa 90% seines Umsatzes Offline und besitzt dort rund 25% Marktanteil, Online sind es 50% in den relevanten Märkten. Aufgrund des deutlich höheren Anteils an Offline-Umsatz, sollte bei diesem Händler das sogenannte „Webgrooming“ nicht außer acht gelassen werden. Dabei informieren sich die Kunden Online, die Conversion findet am Ende aber Offline in einem stationären Laden statt. Daraus resultiert, dass Kunden von vornherein gar nicht an Online-Retargeting Maßnahmen interessiert sein könnten.
Bei dem Händler sind bereits mehrere Millionen Mail-Adressen registriert und gut ein Drittel (30% – 40%) können identifiziert werden. Als geeignete Kategorien für das Experiment wurden die Kategorien Smartphones, LED-TVs, Heizungen, Waschmaschinen und Trockner ausgewählt.
Die Kunden aus den verschiedenen Kategorien wurden dann noch jeweils verschiedenen Varianten zugeordnet. Um sich für den Test zu qualifizieren, musste man in einer der eben genannten Kategorien mindestens vier Seitenaufrufe haben und 10% der Aufrufe mussten auf die entsprechende Kategorie fallen.
Folgende Ausprägungen gab es im Test:
- Langes oder kurzes Navigationsfenster:
Inwieweit zeichnet sich ein Nutzer aus, in dem er über ein definiertes Zeitfenster hinweg nach Produkten in den vorab festgelegten Zielkategorien schaut. Das daraus resultierende Navigationsfenster wird dabei in „kurz“ oder „lang“ unterschieden, wobei das „lange“ 4 Tage und das „kurze“ 2 Tage beträgt. - Inhalt der Mail:
Wichtige Punkte der Retargeting-Mail sind zum einen der Inhalt, als auch die Länge dieser. Wirklich relevant für den Kunden sind jedoch die darin enthaltenden Empfehlungen, also ähnliche Produkte zu den angesehenen Produkten oder Topseller der angesehenen Kategorie. - Abstand zwischen dem Abbruch und dem Versand der Mail:
Ein Kontextueller Faktor ist die Zeit des Versands der E-Mail nach dem Browsing Abbruch und das Multi-Channel-Angebot. Der Abstand beträgt in dieser Studie zwei oder vier Tage, um auch hier eventuelle signifikante Unterschiede feststellen zu können. - Wiederholung bei Nichtöffnung der Mail:
Um den Kunden effektiv anzusprechen wird ihm bei nicht öffnen der ersten Mail gegebenenfalls eine zweite Mail zugeschickt und der auftretende Effekt beobachtet.
Gesamt ergeben sich daraus 14 Szenarien und zusätzlich eine Kontrollgruppe, die also keine Mails erhalten hat. Die meisten Mails wurden mittwochs bis freitags versendet. Dieser multivariable Test (da nicht nur eine Variante gegen eine andere, sondern mehrere Varianten getestet wurden) hat insgesamt 24.000 gültige Sessions gezählt und lief vier Wochen. Etwa die Hälfte der Kunden, die ein Event entsprechend der Kriterien ausgelöst haben, wurden der Kontrollgruppe zugeordnet, der Rest den verschiedenen Varianten.
Was ist bei den Untersuchungen rausgekommen?
Die meisten Events wurden in den beiden Kategorien TV und Smartphones verzeichnet, allein hier waren es etwa drei Viertel aller 24.000 Events. Ein Großteil der angesehenen Artikel war in irgendeiner Art rabattiert oder war über ein Banner auf den Seiten beworben.
Daraus lässt sich ableiten, dass die Ergebnisse für Fernseher und Smartphones sehr genau sind. In den anderen Kategorien sollte man etwas genauer schauen, wie aussagekräftig die Ergebnisse sind, da deutlich weniger Sessions auf diese entfallen.
Aus den Ergebnissen lässt sich ebenfalls erkennen, dass der Zeitpunkt des Versands relevant ist. Mails die am Morgen versendet wurden, hatten im Durchschnitt eine höhere Conversion Rate. Ebenfalls ließ sich erkennen, dass der Einfluss nicht kanalübergreifend ist, also die Optimierungen beeinflussen nur Online-Kennzahlen. Auch kategorieübergreifend waren keine Einflüsse zu erkennen. Nur die beworbene Kategorie konnte mit einer höheren Conversion Rate oder einem höheren Umsatz punkten.
Lag bei Kunden eine konkrete Kaufabsicht vor, haben die E-Mails den Umsatz, also die Warenkkorbhöhe, um 14,90$ erhöht.
Insgesamt über alle Varianten war die durchschnittliche Conversion Rate bei 8%, also sogar etwas niedriger als in der Kontrollgruppe. Der Umsatz hingegen war bei den Nutzern mit Mails um fast 70$ höher.
Allgemein ließ sich beobachten, dass Kunden mit kürzeren Navigationsfenstern eine geringere Conversion Rate hatten.
Besonders zu beobachten war ein gesteigerter Umsatz in der Kategorie LED-TV. Bei Heizungen und Trockern sank die CR Offline sogar, heißt E-Mail Retargeting sollte mit Bedacht eingesetzt werden. Genauer gesagt gibt es Varianten, die besonders gut funktionieren, gegenüber anderen. Den größten Einfluss auf die CR und den Umsatz hatte der Inhalt der Mail, also entweder Topseller einer Kategorie oder ähnliche Produkte. Hier wurden ähnliche Produkte dem Topseller-Inhalt vorgezogen. Alle Varianten mit ähnlichen Produktempfehlungen haben einen durchschnittlichen Mehrumsatz von 1,12$ erbracht, im Vergleich zum allgemeinen Durchschnitt mit 0,79$. Kombiniert man die ähnlichen Produkte mit dem kurzen Abstand (2 Tage), wurde sogar ein Mehrumsatz von 1,74$ erreicht.
Was kann man aus den Ergebnissen für eine Retargeting-Strategie lernen?
Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, dass E-Mail Marketing zu Retargeting Zwecken mit Bedacht eingesetzt werden sollte und bessere Varianten bzw. Kombinationen bevorzugt werden sollten.
Generell sollten die E-Mails morgens versendet werden, da Mails, die morgens versendet wurden eine höhere Conversion Rate hatten. Des Weiteren sollten die Ergebnisse aus der Studie berücksichtigt werden und ähnliche Produktempfehlungen abgegeben werden und dies nach etwa zwei Tagen nach dem Abbruch
Außerdem sollte sich auf E-Mails zum Retargeting fokussiert werden, da Retargeting Mail im Durchschnitt kosteneffektiver sind als reguläres E-Mail Marketing. Retargeting Mails sind mit einem durchschnittlichen Mehrumsatz von 0,791$ verbunden.
Weitere Fragen bzw. Bedenken
Aus technischen Gründen wurden in der Studie die E-Mails frühestens nach zwei Tagen versendet. Interessant wäre also eine weitere Untersuchung, ob eine weitere Verkürzung des zeitlichen Abstands die Conversion Rate weiter erhöhen würde. Hier könnte man den Abstand bis auf ein paar Stunden reduzieren, es ist jedoch die Frage, ob ein Nutzer sich dann vielleicht beobachtet fühlt.
Die Studie war in diesem Fall aus Chile, eine Frage ist die rechtskonforme Umsetzung in Deutschland bzw. der EU. Durch die DSGVO und ePrivacy werden immer mehr Hürden zum Tracking von Nutzern in den Weg gelegt, sodass eine Umsetzung in diesem Maße schwierig ist. Sollte dies umsetzbar sein, ist dann jedoch noch die Frage wie groß die Zielgruppe ist, die trotz Cookie-Banner dem Tracking zustimmt und den Nutzer identifizierbar macht. Schließlich muss der Nutzer identifiziert werden können und auch eine Zustimmung zu E-Mail Marketing geleistet haben.
Die Studie bezieht sich auf fünf Kategorien (Smartphones, LED-TVs, Heizungen, Waschmaschinen und Trockner) und es stellt sich die Frage, diese Ergebnisse auf andere Kategorien übertragbar sind. Also würde Retargeting nach einem Browsingabbruch bei Möbeln oder ähnlichem auch so gut funktionieren.